Willkommen auf der Homepage des Schriftstellers Stefan Burban
Ein betrunkener Bettler torkelte an Darellior vorbei, blieb stehen und übergab sich ohne Vorwarnung lautstark auf die Straße. Es gelang dem Ordensritter gerade noch, dem Schwall Erbrochenem ausweichen. Darellior sah sich verwundert um. Niemand nahm von dem Bettler und seiner misslichen Lage Notiz.
Einem ersten Impuls folgend, wollte er Hilfe anbieten, doch der Betrunkene wischte sich einfach den Mund am schmutzigen Ärmel ab und setzte seinen Weg unbeirrt fort, als wäre nichts geschehen. Darellior sah dem Mann kopfschüttelnd hinterher, wie er um die nächste Ecke verschwand.
Er warf einen Blick gen Himmel. Die Sonne war fast schon unter den Horizont gesunken und die Straßen von Tansara versanken langsam in Dunkelheit. Nicht mehr lange und es würde stockfinster werden. Dann würden die Gardisten und die Stadtwache die Straßen der Armenviertel dem Gesindel überlassen, bis sie sich am nächsten Morgen wieder aus ihren Kasernen trauten. Nach dem Besuch der Stadtwache am Mittag vermutete Darellior stark, dass den Stadtwachen dies gar nicht recht war und an ihrer Ehre zerrte. Aus Erfahrung wusste er, dass den Gardisten dieses Arrangement hinge-gen durchaus gelegen kam, machte es doch deren Arbeit erheblich einfacher, wenn sich des Nachts die Straßenbanden gegenseitig die Köpfe blutig schlugen. Und falls Unbeteiligte zu Schaden kämen, nun, so waren sie selbst schuld, wenn sie sich aus ihren Häusern trauten.
Langsam glaubte er, es war eine schlechte Entscheidung, allein loszumarschieren, um Rican und Mirac abzuholen. Reval war auf eigenen Wunsch zurückgeblieben. Eigentlich kein Wunder, wenn man bedachte, wie er und die Dirne zuvor aneinandergeraten waren. Darellior war über diese Entscheidung so erleichtert gewesen, dass er tatsächlich gedacht hatte, er könne den Auftrag guten Gewissens auch allein durchführen. Inzwischen zweifelte er an der Weisheit seiner Entscheidung. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Die Straßen des nächtlichen Tansara waren kein Ort, an dem man sich ohne Rückendeckung aufhielt. Zu schnell konnte es geschehen, dass man sich mit durchschnittener Kehle im Fluss wiederfand. Ein Schicksal, dem er tunlichst aus dem Weg gehen wollte.
Die Schatten wurden länger und in einige der kleineren Seitenstraßen und Gassen drangen bereits keine Lichtstrahlen mehr. Bald würden sich die Halsabschneider aus ihren Löchern trauen, auf der Suche nach leichter Beute. Er musste sich beeilen. Darellior bildete sich ein, aus den Schatten Augenpaare starren zu sehen, die jeden seiner Schritte belauerten. Er sprach ein kurzes Gebet zu Ariadne. Aber noch während er die Worte murmelte, beschleunigte er unbewusst seine Schritte. Je schneller er wieder nach Caralyn zu-rückkehren konnte, desto wohler würde er sich fühlen.
Der Ordensritter tastete nach dem Kurzschwert unter seinem Wams. Der kalte Stahl fühlte sich beruhigend an. Das Kettenhemd schmiegte sich wie eine zweite Haut an seinen Körper. Die Schmiedemeister des Ordens waren wahre Künstler in ihrem Fach. Die einzelnen Maschen des Kettenhemds waren so eng ineinander verflochten, dass kein Pfeil oder Messer sie durchdringen konnte. Nur ein wahrhaft furchtbarer Schwerthieb konnte hoffen, das Hemd zu beschädigen und den Träger darunter zu verletzen. Es war unsin-nig, sich über einige Strauchdiebe Gedanken zu machen. Keiner von ihnen konnte über die Mittel verfügen, ihm ernsthaft gefährlich zu werden. Seine exzellente Ausbildung hatte er zudem noch in der Hinterhand.
Am Ende der Straße kam endlich die Pension in Sicht, in der die Dirne und ihr Sohn lebten. Die Aussicht, sein Ziel erreicht zu haben, ließ ihn seine Schritte noch einmal beschleunigen.
Darellior trat auf die schmutzige, verkommene Veranda und durch den Türrahmen. Irgendwann hatte vielleicht sogar eine Tür den Rahmen ausgefüllt, doch das war bereits lange vergangen. Nun legten nur noch die verrosteten, verdrehten Scharniere Zeugnis darüber ab.
Hinter dem Tresen saß der Pförtner auf einem vergammelten Stuhl und schlief den Schlaf der Gerechten. Um der ganzen Sache die Krone aufzusetzen, hatte er Darellior den Rücken zugewandt. In einem noblen oder auch nur mittelständischen Etablissement wäre so ein pflichtvergessenes Verhalten undenkbar. Aber hier und jetzt musste man, was das Personal betraf, wohl Abstriche machen.
Der junge Ordensritter rümpfte angewidert die Nase. Etwas stank hier ganz erbärmlich nach Urin und Schlimmerem. Als hätte jemand das Foyer als Toilette benutzt. Er wollte gar nicht darüber nach-denken, ob das vielleicht sogar den Tatsachen entsprach.
Darellior erwog, den Mann einfach schlafen zu lassen und das Zimmer von Rican ohne Umschweife aufzusuchen. In einem seltenen Anfall von Humor beschloss er jedoch, den Pförtner zu wecken und sich anzumelden, wie es sich in einer Pension gehörte. Zweifellos würde der Alte eine Schimpftirade zum Besten geben, aber was sollte er schon groß gegen den hochgewachsenen Ritter unternehmen?
»Hey da, guter Mann, aufwachen!« Seine Hand fiel lautstark mehrmals auf den Tresen und halb erwartete er, der Pförtner würde vor Schreck vom Stuhl fallen. Doch nichts dergleichen geschah.
»Aufwachen, habe ich gesagt. Hier ist Kundschaft für Euch.« Wieder nahm der Pförtner keine Notiz von Darellior, der allmählich die Geduld verlor. Er griff über den Tresen hinweg und rüttelte unsanft an der Stuhllehne. Und tatsächlich kam endlich Leben in den Körper. Zu Darelliors Entsetzen, rutschte der Mann vom Stuhl und schlug ungebremst auf dem Boden auf.
Darellior glaubte schon, er habe nur einen weiteren Betrunkenen vor sich. Doch dann fielen ihm dunkle Flecke auf der Hose des Pförtners auf. Seine Augen wanderten nach oben zum Gesicht des Mannes. Gebrochene, leere Augen starrten an die Decke. Ein Ausdruck von Überraschung lag noch immer auf seinen Zügen. Dem armen Kerl war die Kehle durchgeschnitten worden.
Das erklärte auch den überwältigenden Geruch nach menschlichen Ausdünstungen. Im Tod hatten sich die Muskeln des Pförtners entspannt und Darm und Blase entleert. Plötzlich hörte er den Schrei einer Frau durch das Treppenhaus.
Rican!
Darellior stürmte die Treppe hinauf, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm. Aus dem oberen Stockwerk waren nun Kampfgeräusche zu hören. Ein Mann fluchte und kurz darauf stürzte jemand zu Boden. Angst und düstere Vorahnungen ließen ihn alle Vorsicht vergessen.
Das kostete ihn beinahe das Leben.
Auf der obersten Stufe angekommen, griff er unter das Wams und tastete nach dem verborgenen Kurzschwert. Im selben Augenblick bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Eine in Schwarz gehüllte und vermummte Gestalt trat ihm herausfordernd entgegen, das Gesicht tief in den Schatten seiner Kapuze verborgen. Der Ordensritter glaubte, in den Tiefen der Kapuze ein paar erwartungsvolle Augen glitzern zu sehen, die ihn kalt musterten. Eine hämische Vorfreude ging von dem Mann aus.